Publikation vom Juni 2016
Unterhaltsrecht per 1. Januar 2017
Was wir heute noch als recht und gerecht betrachten, gilt ab 1. Januar 2017 nicht mehr! Ab 1. Januar 2017 werden Kinderunterhaltsbeiträge nach einem neuen System berechnet, was auch eine Neuberechnung der nachehelichen Unterhaltsbeiträge zur Folge haben wird.
Trennen sich Eltern – ob verheiratet oder nicht – muss geregelt werden, wer künftig die Kinder betreut und wie hoch die Kinderunterhaltsbeiträge sind, die der weniger betreuende Elternteil dem mehr betreuenden Elternteil bezahlt. Bisher wurde bei der Bestimmung dieses Betrages primär berücksichtigt, wie viel Geld die Bestreitung des Lebensunterhaltes des Kindes kostet (Wohnkosten, Bekleidung, Ernährung, Schulkosten, etc.). Ab 1. Januar 2017 muss nun neben dem sogenannten „Barunterhalt“ auch noch ein „Betreuungsunterhalt“ bezahlt werden. Unter „Betreuungsunterhalt“ versteht man die durch die Kinderbetreuung entstehenden Kosten. In der Botschaft des Bundesrates steht dazu: „Der Betreuungsunterhalt umfasst grundsätzlich die Lebenshaltungskosten der betreuenden Person, soweit diese aufgrund der Betreuung nicht selber dafür aufkommen kann.“
Und was heisst dies nun in Franken und Rappen? Beispiel: Ein Vater verdient pro Monat netto CHF 10‘000.00 und erhält für seine zwei Kinder Kinderzulagen in Höhe von 2 x CHF 200.00. Sein Existenzminimum beläuft sich auf CHF 4‘000.00. Er betreut seine beiden Kinder – 7 und 9 Jahre alt – jedes zweite Wochenende und während drei Ferienwochen. Die Mutter betreut zu 100% die Kinder; ihr Existenzminimum beläuft sich auf CHF 2‘770.00. Das Existenzminimum von Mutter und Kinder beläuft sich auf CHF 5‘600.00.
Sind Vater und Mutter nicht verheiratet, so muss der Vater nach bisherigem Recht pro Kind und Monat Unterhaltsbeiträge in Höhe von rund CHF 1‘500.00 bezahlen (entsprechend dem Barbedarf der Kinder). Ab 1. Januar 2017 muss der Vater jedoch zusätzlich auch noch für den Betreuungsbedarf aufkommen. In unserem Beispiel sind dies pro Kind und Monat CHF 1‘385.00 (Existenzminimum der Mutter geteilt durch 2). Der Vater muss der Mutter pro Kind und Monat neu also einen Gesamtunterhalt in Höhe von CHF 2‘885.00 bezahlen. Damit erhöhen sich ab 1. Januar 2017 in unserem Beispiel die geschuldeten Kinderunter-haltsbeiträge um fast 100%!
Und wie sieht es aus, wenn die Eltern verheiratet wären? Nach geltendem Recht müsste der Vater pro Kind und Monat – wie erwähnt – rund CHF 1‘500.00 bezahlen. Zusätzlich wären nacheheliche Unterhaltsbeiträge von rund CHF 3‘100.00 zu bezahlen. Gesamthaft müssten also Unterhaltsbeiträge von monatlich rund CHF 6‘100.00 bezahlt werden. Diese Summe ändert sich unter dem neuen Recht nicht. Was sich jedoch ändert, ist die Aufteilung zwischen Mutter und Kinder: Da der Kinderunterhalt CHF 5‘770.00 beträgt, reduzieren sich die Unterhaltsbeiträge für die Ehefrau von CHF 3‘100.00 auf CHF 330.00. Solange sich beide Kinder bei der Mutter aufhalten und sich die Exfrau nicht wiederverheiratet, ändert sich unter dem Strich nichts. Bei einer Wiederverheiratung der Exfrau und erst recht bei einem Wechsel der Kinder von der Mutter zum Vater kommt es jedoch zu dramatischen Verschiebungen. Dies gilt es bereits heute beim Abschluss von Trennungsvereinbarungen / Scheidungskonventionen zu beachten.
Denn das neue Kindesunterhaltsrecht tritt mit einer gewissen Rückwirkung in Kraft, da eine Anpassung von altrechtlich festgelegten Kindesunterhaltsbeiträgen an das neue Recht zeitlich unbeschränkt möglich sein wird. Wurden noch nach altem Recht nicht nur Unterhaltsbeiträge für das Kind sondern auch Eltern- bzw. Ehegattenunterhaltsbeiträge festgelegt, können die Kinderunterhaltsbeiträge nur dann angepasst werden, wenn sich die Verhältnisse „erheblich“ verändert haben. Doch wann liegt die geforderte Erheblichkeit vor? Der Gesetzgeber äussert sich hierzu nur sehr vage mit dem Verweis, dass die Interessen aller Beteiligter einzubeziehen seien und die Gesetzesänderung allein nicht ausreiche. Dies stellt keine grossartige Veränderung im Gegensatz zur geltenden Regelung dar, wonach nacheheliche Unter-haltsbeiträge sowie auch Kinderunterhaltsbeiträge bei einer erheblichen Veränderung der Verhältnisse angepasst werden können. Interessant dürfte eine Abänderung von noch nach den altrechtlichen Regelungen im Verbund mit Eltern- bzw. Ehegattenunterhalt zugesprochenen Kinderunterhaltsbeiträgen insbesondere bei nachträglichem Koordinationsbedarf sein, wenn zum Beispiel ein Kind aus einer neuen Beziehung des Unterhaltspflichtigen aufgrund der neuen gesetzlichen Regelungen einen höheren Unterhalt (unter Einbezug des Betreu-ungsunterhalts) zugesprochen erhält als die älteren Kinder (noch ohne Betreuungsunterhalt) und sich aufgrund des Vorrangs des Kindesunterhalts in Verbindung mit nicht ausreichenden Mitteln die Frage einer Benachteiligung der älteren Kinder ergeben könnte, falls der Unterhalt von deren Mutter – neuerdings nachrangig, aber unter bisherigem Recht faktisch den Betreuungsunterhalt mitenthaltend – herabgesetzt würde.
Mit Blick auf diese Unsicherheiten empfiehlt es sich bereits bei heute abgeschlossenen Trennungs- oder Scheidungskonventionen die Überlegung anzustellen, ob der Unterhalt nach dem neuen oder dem alten Recht festgelegt werden soll. Dies insbesondere um absehbare und damit unnötige Abänderungsverfahren zu verhindern. Je nachdem können ab 1. Januar auch bisherige Unterhaltsregelungen angepasst werden: Eine Anpassung der Unterhaltsbeiträge an die neue gesetzliche Regelung lohnt sich insbesondere für den die Kinder betreuenden Elternteil unverheiratet gewesener Eltern, der nach der Trennung lediglich einen Kinderunterhaltsbeitrag ohne Betreuungsunterhalt zugesprochen erhalten hatte. Ebenfalls ist eine Abänderung der Unterhaltsbeiträge immer dann ins Auge zu fassen, wenn auf den Unter-haltspflichtigen aufgrund der Geburt eines weiteren Kindes in einer neuen Beziehung weitere Unterhaltsverpflichtungen hinzukommen auf die bereits die neurechtlichen Regelungen zur Anwendung gelangen.
Felix Müller
Dr. iur., Rechtsanwalt, Mediator SAV, Collaborative Lawyer SVCL
Teamleiter
felix.mueller@ raggenbass.com