Publikation vom April 2016
Bundesgericht on the road
Der Strassenverkehr hält immer wieder unklare Situationen bereit. Das Bundesgericht hat in den letzten Monaten einige offene Fragen geklärt:
Rechtsvorbeifahren
Das Bundesgericht präzisierte seine strenge Praxis zum Rechtsüberholen auf der Autobahn. Die Richter stellten fest, dass gerade zu Stosszeiten auf der Überholspur im Gegensatz zur Normalspur häufig dichterer Verkehr herrsche. In der Folge komme es auf der Überholspur regelmässig zum sogenannten Handorgeleffekt, während der Verkehr auf der Normalspur flüssig und bei konstanter Geschwindigkeit schneller fliesst. Dieses passive Rechtsvorbeifahren bei dichtem Verkehr sei mittlerweile eine alltägliche Situation, die sich kaum vermeiden lasse und nicht per se zu einer erhöhten Gefahrensituation führe. Deshalb sieht das Bundesgericht in diesem Verhalten keinen Verkehrsregelverstoss. Strafbar bleibt jedoch das aktive Rechtsüberholen.
Einer zu viel
Wer die im Stau verlorene Zeit aufholen will, aufgepasst: Als Raser gilt, wer in Zone 30 mit 70 km/h, innerorts 100 km/h, ausserorts 140 km/h oder auf der Autobahn 200 km/h fährt. Das Bundesgericht ist strikt: Die (Radar-)Falle schnappt auch zu, wenn die Limite nur um einen einzigen Stundenkilometer überschritten wird. Als Folge sieht das Strassenverkehrsgesetz eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr sowie Ausweisentzug von mindestens zwei Jahren vor.
Unfall
Ereignet sich ein Unfall, muss der beteiligte Fahrzeuglenker (oder Velofahrer!) unverzüglich anhalten. Denn nur so kann geklärt werden, ob ein Sach- oder Personenschaden entstanden ist. Fährt der Unfallbeteiligte weiter, ohne sich dessen zu vergewissern, macht er sich wegen Fahrerflucht strafbar – und zwar unabhängig davon, ob sich nachträglich herausstellt, dass gar kein Schaden entstanden ist. Die Polizei muss gerufen werden, wenn bei einem Unfall Personen verletzt werden oder bei Sachschaden der geschädigte Eigentümer nicht sofort benachrichtigt werden kann.
Drängler
Zur Vermeidung von Unfällen hilft genügend Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug. Aber was ist ein „ausreichender Abstand“ auf der Autobahn? Es hängt von den Umständen ab; als Faustregel ist die „Zwei-Sekunden“- oder „Halbe-Tacho“-Regel bekannt. Ein Abstand von nur gerade 1/6-Tacho (0.6 Sekunden Abstand) ist gemäss Bundesgericht jedenfalls auch bei günstigen Strassenverhältnissen als grobe Verkehrsregelverletzung zu qualifizieren. Die Folgen für Drängler: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, dazu ein Ausweisentzug von mindestens drei Monaten.
Schneller Ausweg?
Schliesslich soll es bisweilen gar vorkommen, dass man aus Versehen auf der Autobahn landet: Ein Automobilist, der seinen Irrtum erst bei der grünen Signaltafel bemerkte, hielt kurzerhand an und fuhr die Auffahrt auf dem Pannenstreifen 50 Meter zurück. Aufgrund der günstigen Verkehrsverhältnisse sah das Bundesgericht darin weder eine grobe Verkehrsregelverletzung noch ein grobfahrlässiges Verhalten – eine Busse wegen einfacher Verkehrsregelverletzung setzte es trotzdem ab. Im Ergebnis dürfte der Verirrte durch sein Manöver somit weder Zeit noch Geld gespart haben.
In diesem Sinne: Gute Fahrt!